
Cristóbal Balenciaga, Modedesigner (1895-1972) geboren in Getaria und Eduardo Chillida, (1924–2002) geboren in San Sebastian, haben ihren eigen Blogbeitrag verdient, da wir beiden Künstlern auf unserer Reise so intensiv begegnet sind.
Bekannt ist Chillida in Deutschland durch seine große Skulptur vor dem Bundeskanzleramt in Berlin, aber die wenigsten werden in seinem Atelier und Wohnhaus, Chillida-Leku Museum, in der Nähe von San Sebastian gewesen sein. Wir standen bei unserer Bullitour 2017 enttäuscht vor den verschlossen Toren des Museums, welches für unbestimmte Zeit geschlossen hatte. Die Erben konnten aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten und fehlender Unterstützung den Betrieb nicht aufrecht erhalten. Nach neun Jahren Schließung eröffnete das Museum 2019 wieder, nachdem die Schweizer Galerie Hauser & Wirth den Nachlass des Künstlers zwei Jahre zuvor übernommen hatte.
Montag, 2. September, Pasaia bei San Sebastian
Die Anfahrt zu dem ländlichen Anwesen ist ohne Google extrem schwer. Aber so führt uns Google vom Boot, zu der Bushaltestelle fünf Minuten vom Hafen entfernt, mit dem Bus fahren wir rund um das Industriehafenbecken, auf die andere Seite von unserem Liegeplatz und steigen in die S-Bahn, die New York Style mäßig, zwischen die Häuser auf eine Hochtrasse gepresst wurde. Nach einer Stunde erreichen wir den Vorort Hernani und spazieren 15 Minuten eine Schnellstrasse entlang zum Chillida-Leku Museum. Empfangen werden wir mit einer kleinen, doppelten Staudenrabatte von meinem hochverehrtem Gartendesigner, Piet Oudolf.
Ah, ein Genuss. Ist doch mein Lieblingsthema Garten immer etwas schwierig zu befriedigen auf unseren Segeltouren. Ein wogendes gelbes Meer aus Rudbeckia, mit purpurfarbenen Blüten von Eupatorium maculatum ‚Atropurpureum‘, biegsamen Halmen von Stipa gigantissimo und ein paar zarten Blüten von rosa Phlox und pinkblühenden Herbstanemonen Robutissima. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass die Stahlskulpturen von Chillida in wogenden Gräsern und Staudenpflanzungen von Piet Oudolf stehen. Doch sie stehen auf einer hügeligen, leicht ansteigenden grünen, sehr nassen Wiese. Das sehr große, alte Bauernhaus aus gigantischen, alten Holzbalken und Naturstein liegt oberhalb der Wiese zwischen den Bäumen. Wir betreten, als einzige Besucher den fast sakral anmutenden Bau. Zwei große Räume im Parterre, ohne Zwischendecke mit geöffneten Dach durch das Licht flutet. Eine Treppe aus Holz führt in die erste Etage. Das Geländer ist ein eckiger Holzbalken bestimmt mit einer Kantenlänge von 25 cm. Der Handlauf ist schon wie eine Skulptur. Kleinere Skulpturen aus Ton, Holz und Stein, wie luziden Alabaster und viele Collagen und Zeichnungen sind in den Räumen verteilt. Der Innenraum des Bauernhauses ist für sich alleine schon ein skulpturales Kunstwerk. In der Sonne vor dem Haus versuchen wir die nassen Schuhe und Strümpfe zu trocknen. Die neu gepflanzten Apfelbäume auf der Wiese vor uns brauchen genauso dringend einen kräftigen Rückschnitt, wie die Apfelbäume meiner Schwester in der Normandie.
Wir treten den Rückweg an, um noch ein paar Tapasbars in San Sebastian auszuprobieren. Hungrig wie wir sind fallen wir in der ersten, vollen Bar ein ‚Paco Bueno‘, die Spezialität sind Gambas in Teigmantel frittiert. Aber der Thunfisch mit Vinaigrette ist auch sehr gut. In einer anderen Bar testen wir Baccalau in Teigmantel, Pimentos de Patron und Fischspieß aus Seeteufel. Den Café gibt es wie am Vortag vor dem Museum San Telmo.
Was jetzt noch fehlt ist der Besuch der berühmten Skulptur „Peines del viento“, am Ende der westlichen Bucht von San Sebastian. Wir schlendern langsam, Marcus Fuss ist immer noch nicht wieder richtig belastbar, die Promenade entlang. Auch ohne dramatische Wellen und Gischt, im sanften Licht von bewölkem Himmel, sind die in den Felsen verankten Zangen und Greifer ein toller Anblick und inspirieren zum Fotografieren. Wir sind glücklich und müde und Google geleitet uns, mit zwei Bussen und unserer kleinen Fähre zurück zum Boot.
Es fängt an zu Regnen, die Lichter im Hafenbecken wirken milchig und weich, wir machen es uns unter Deck kuschelig.
Meist sprechen vor Chillidas Werk Politiker oder Journalisten. Die schlicht mit „Berlin“ betitelte Arbeit steht seit dem Jahr 2000 vor dem Haupteingang zum Bundeskanzleramt und ist durch die Nähe zum Zentrum der Macht wohl das prominenteste Beispiel moderner Plastik in der Hauptstadt.
Eduardo Chillidas Plastik „Berlin“ entstand im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland für das neue Bundeskanzleramt in Berlin. Der Auftrag wurde noch zu Regierungszeiten von Bundeskanzler Helmut Kohl angeregt und entstand aus der Idee heraus, dem Berliner Regierungssitz ein ähnliches künstlerisches Wahrzeichen zur Seite zu stellen, wie es damals die sanft gerundete Bronzeplastik von Henry Moore seit 1979 vor dem ehemaligen Regierungssitz in Bonn tat. Helmut Kohls Nachfolger, Bundeskanzler Gerhard Schröder, griff den Vorschlag auf und realisierte weitere Unternehmungen. Kosten entstanden für die Regierung keine, da das Münchner Ehepaar Rolf und Irene Becker als Sponsor gewonnen werden konnte Chillidas Idee zur Berlinskulptur entspringt einer kleinen Arbeit „Berlin I“, in der der Künstler seine Berlineindrücke vor und nach der Wende schilderte. Seit Beginn 1999 arbeitete der Künstler an Entwurfsarbeiten. Im selben Jahr ging der Entwurf in die Schmiede, wo Stahl im Hochofen von Reinosa 48 Stunden lang bis zu 1200 Grad erhitzt und von großen Maschinen unter Aufsicht des Künstlers zurechtgebogen wurde. Eduardo Chillida ist seit den 1950er Jahren für seine Eisenskulpturen bekannt, deren Material in der Schmiede- und Industrieregion und Chillidas Heimat, dem Baskenland, eine jahrhundertelange Tradition hat. „Berlin“ ist seiner „Windkamm“-Typologie verpflichtet. Im März 2000 besichtigte der Künstler zusammen mit Vertretern aus Politik und der Berliner Kulturlandschaft sowie den Architekten des Kanzleramtes das Gelände des Regierungssitzes, um einen geeigneten Aufstellungsort für die Plastik zu finden. Nach ihrer Fertigstellung befand sie sich am Eingang des Parks und Freilichtmuseums „Chillida-Leku“ in der Nähe der baskischen Heimat Chillidas San Sebastian, wo sie von Gerhard Schröder im September 2000 besichtigt wurde. Am 6. Oktober traf die Plastik vor dem Bundeskanzleramt Berlin ein und wurde bis zur Eröffnung verhüllt. Die Enthüllung fand am 25. Oktober 2000 statt. Bundeskanzler Schröder würdigte das Werk in seiner Rede als „künstlerischen Kommentar, der fast ideal den Aufbruch des vereinigten Deutschlands in einem neuen, offenen Europa versinnbildlicht.“ Er verstand das Werk als Aufforderung, aufeinander zuzugehen und als Bild-Ikone für das vereinigte Deutschland. Am 25. Juni 2002 fand eine Umsetzung statt, um der Skulptur eine größere Eigenständigkeit gegenüber der Architektur des Kanzleramtes zu geben. Der Plastik und seinen Auftraggebern wurde in der Presse immer wieder Eindeutigkeit, Mangel an Komplexität und eine plakative Umsetzung des deutschen Einheitsgedankens, verursacht durch eine Politisierung der Kunst, vorgehalten. Dem wurde die Vielschichtigkeit von Chillidas Plastik entgegengehalten, in der nicht nur Einheitsmühen anklängen, sondern auch das bei seinen Skulpturen an der baskischen Steilküste über dem Meer immer wieder kehrende weiter gefasste Motiv der Wiederverbindung dessen, was einmal zusammen war. Die ausladende, energiegeladene Dramatik der Plastik, in der auch ein aggressives Moment zu erkennen ist, und nicht zuletzt die Wahl des Materials Stahl, heben das Werk von Moores Bonner Bronzearbeit ab und machen es zu einem Zeichen des Neuanbruchs der „Berliner Republik“. Vor dem Mauerfall schufen Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff zwischen 1985 und 1987 bereits eine Skulptur mit dem Titel „Berlin“ (für den Skulpturenboulevard Kurfürstendamm und Tauentzienstraße in Charlottenburg), die möglicherweise als Anregung für Chillidas Skulptur gedient haben mag (Mirjam Brusius).
In Gijon befindet sich eine weitere Skulptur aus Beton von Eduardo Chilida: Elogio del Horizonte. Hoch über dem Hafen, mit Blick auf den Atlantik fängt die Skulptur den Wind ein und erzeugt Geräusche.
5. September, Getaria
Das Highlight vom heutigen Tag ist der Besuch im Cristóbal Balenciaga Museum, dem berühmtesten Modemacher Spaniens. Er wurde hier in Getaria 1895 geboren und erhielt seine Ausbildung zum Schneider in San Sebastian. Dort eröffnete er auch seinen ersten Haute-Couture Salon mit Kundschaft aus dem spanischem Königshaus. Es folgten Modesalons in Madrid und Paris. Zu sehen sind 1.200 Balenciaga Kreationen in wechselnden Ausstellungen, unter anderem auch Kleider für die belgische Königin Fabiola und Grace Kelly, Prinzessin von Monaco. Das moderne Museum empfängt mit einer luftigen Eingangshalle mit großen, schwarzen Wänden und beinhaltet auf drei Ebenen mehrere Ausstellungsräume, in denen die Kleider von Balenciaga wie Skulpturen hinter Glas präsentiert werden.
Die Freundschaft zwischen Eduardo Chillida und Cristóbal Balenciaga, war von gegenseitigem Respekt und Bewunderung geprägt. Beide stammten aus dem Baskenland, und ihre Verbindung beruhte auf einer gemeinsamen kulturellen Herkunft, sowie einer tiefen Wertschätzung für Kunst und Design. Balenciaga bewunderte Chillidas Arbeit und seine Fähigkeit, die Beziehungen zwischen Raum und Form in seinen Skulpturen zu erfassen. So ist es nicht verwunderlich, das dessen Arbeit Einfluss auf seine Mode hatte. Die Freundschaft der beiden Künstler ist ein Beispiel dafür, wie sich Kunst und Mode gegenseitig beeinflussen und bereichern kann.
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