1. Etappe, Palmsonntag, 13. April, von Ferrol nach Neda, 16km

Wir stehen etwas verloren auf dem Parkplatz in Sada, von wo aus der Bus um 10 Uhr starten soll. Bus steht da, aber der Fahrer lässt uns nicht einsteigen und wir alle verstehen nur „Spanisch“. Um 10.00 öffnet er die Tür und winkt uns herein, na also. Umsteigen an einer Kreuzung „in the middle of nowhere“, der Bus gefüllt mit Schülern und Spaniern mit selbstgeflochtenen Palmwedeln. Auf dem Weg zum Touristenbüro im Hafen, wo wir unseren Pilgerpass erhalten, geraten wir in eine große Prozession. Vor der Kirche haben sich viele Menschen um die Musikgruppen und die farbig gekleideten Truppen mit Kapuzenmänteln versammelt. Sie ziehen durch die mit  Menschen gesäumten Strassen und tragen eine große Marienstatur auf ihren Schultern. Tolle Stimmung! Die Kinder der Prozession verteilen kleine Heiligenbildchen an die Kinder die zuschauen. Die Bildchen sind auf der Rückseite, handschriftlich gekennzeichnet oder gestempelt.

Mit unserem Pilgerpass ausgestattet machen wir uns auf den Weg und verlassen die Stadt. Wir wollen den Camino Ingles laufen, den Jakobsweg der englischen Pilger, die schon in alten Zeiten mit dem Boot in A Coruña oder Ferrol an Land gingen. Wir entscheiden uns für die 113km lange Variante ab Ferrol. Es geht an der riesigen Hafenmilitäranlage und an hässlichen Hochhäusern vorbei raus aus der Stadt, entlang des Rias ( Flussmündung) der sich hier tief ins Land einschneidet. Wir gehen nicht über eine der zwei Brücken, die unseren Weg um sicherlich 10 km abkürzen würde, rüber nach Fene, sondern verfolgen den offiziell ausgeschilderten Pilgerweg weiter nach Neda. Wenn schon, denn schon. Natürlich finden wir jetzt keine Bar oder ein offenes Restaurant mehr, unsere eingepackte Wurst, Gurke und Paprika rettet uns direkt am ersten Tag.

Wir erreichen Neda und finden zum großen Glück auch einen Platz im Albergue de peregrinos. Platz für ca. 24 Pilger in einem Raum, mit blauen Metallstockbetten und blauen Plastikmatratzen. Ein kleines Tütchen liegt auf jedem Bett, darin ein Papierbettlaken und ein Papierbezug für das Kopfkissen. Später in die einzige offene Pizzeria im Ort und essen schlechte Pizza. Egal, ab ins Bett.

2. Etappe, Montag, 14. April, von Neda nach Pontedeume, 14km

Gerade wollen wir die Herberge verlassen, als es Sturzbäche regnet. Das scheint einige Pilger gar nicht abzuhalten, sie machen sich trotzdem auf den Weg. Wir warten mindestens eine Stunde, bis es weniger wird. Wir folgen den gelben Pfeilen durch den Ort und durch die Altstadt mit kleinen, alten Arkaden unter denen Blumentöpfe liebevoll arrangiert sind. Dann kommt die erste Steigung. Vor uns eine alte Frau, einen Einkaufstrolley ziehend. Ständig bleibt sie zum Verschnaufen stehen. Marcus, der gute Pilger, bietet an den Wagen zu ziehen. Ich muss ihn ablösen, das Ding ist unglaublich schwer. Was hat die Alte darin? Waschmittel und Weichspüler im 10 Liter Kanister, oder einfach Wackersteine, um zu testen ob die Pilger wirklich Nächstenliebe vergeben? Sicherlich wartet sie jeden Morgen an der Strassenecke bis die ersten Pilger auftauchen und macht sich dann schnaufend an den Aufstieg, bis sie einer erlöst!

Callas, Kamelien, gelbe Iris, Affodills (weiße Lilienartige Gewächse) und Blauregen stehen üppig in Blüte, die Orangenblüten umhüllen uns mit ihrem Duft. Wir erreichen Pontedeume und bekommen auch noch einen Platz in der öffentlichen Herberge, die in den alten Fischhallen untergebracht ist. Das Bett kostet 6,10 Euro! Es riecht nicht mehr nach Fisch, aber es ist dunkel und die Betten sind alt und quietschen. Nachtkonzert aus lauten und leisen Schnarchen, kratzen, tappelden Schritten zum Klo und Quietschen der Betten vorprogrammiert.

Zum späten Mittagessen finden wir eine gut besuchte Pulperia, ‚Pulperia Os Cen Pasos‘. Fast hätten wir uns über den letzten Anstieg dorthin geärgert, da es geschlossen aussah, doch beim Blick um die Ecke entdeckten wir den Eingang. Es hat sich gelohnt!.  In der Herberge treffen wir auch wieder auf den netten Portugiesen, der mit seinen beiden Töchtern 10 und 14 Jahren wandert. Von ihm kommt der super Tipp mit der heißen Gemüsesuppe, Caldo Galego. Die beste Erfindung für nasse, kalte Pilger. Essen wir danach jeden Tag.

Pontedeume ist ein sehr hübscher Ort, mit Gassen die rauf und runter führen. Geschäfte, viele Cafés und Restaurants. Alte Häuser mit den hier typischen verglasten weißen, Balkonen mit Verandafenstern. Alles verschachtelt nebeneinander. Wir besichtigen auch noch den alten Turm von Andrade. Rittergeschichten fanden hier reichlich statt.

3. Etappe, Dienstag, 15. April, von Pontedeume nach Betanzos, 20km

Morgens verlassen wir wieder als letzte, zusammen mit einem deutschen Pärchen aus Berlin/Leipzig die Herberge, Wieder Regen. Hendrickje ist so lieb und leiht mir ihre Regenstulpen, sie hat noch eine Regenhose dabei. Wir verabreden eine Rückgabe in Santiago. Der Weg führt uns durch Wald, es geht berauf und bergab durch verschiedene kleine Dörfer und Ortschaften. Am besten gefallen uns die alten Kornspeicher auf ihren Steinstelzen. Diese sind oft gepflegt und werden erhalten, wie kleine Kapellen. Die Höfe und Ortschaften sind dagegen arm und gar nicht geschmackvoll. Wer Geld hat baut Mauern und pflastert oder betoniert seine Auffahrt. Es hagelt zwischendurch, an unserer Stelle zum Glück etwas kleinere Körner, weiter vorne sind die Hagelkörner Erbsengroß. Wir überqueren eine kleine alte Steinbrücke und die Vorstellung von vielen Tausenden von Pilgern, die hier das Flüsschen überquerten wird lebendig. 

Die Herberge und Hotels in Betanzos sind voll. Es findet sich ein privates Appartement. Es riecht muffig, ist semi sauber, aber hat ein großes Bett und eine gute Dusche. Der Ort ist wie ausgestorben. In der schönen Altstadt sind alle Geschäfte aufgegeben worden. Überall hängt das Schild Liquidation. Ganz deprimierend. Es kommt kein Geld in die Kassen der Leute, die Pilger können nichts kaufen und mitnehmen. Wir reservieren einen Tisch in einem Restaurant, wo wir warm sitzen und essen eine leckere Paella. Ausserdem kaufen wir Vorräte für die nächste Etappe.

4. Etappe , Mittwoch, 16. April, von Betanzos nach Bruma, (Poulo), 23,5km

Wir starten früh um 6.30 Uhr. Es regnet, wir verlassen mit anderen Pilgern gleichzeitig die Stadt. Eukalyptuswälder, viele Farne und Moos säumen den Weg. Die Strecke ist landschaftlich sehr schön. Und es gibt sehr wohl Möglichkeiten zum Einkehren zwischendurch, aber wir haben eingekauft und das muss jetzt weg. Die Strecke scheint beständig immer anzusteigen, ich bin ziemlich groggy. Marcus übernimmt mein Kleiderpaket, um mich zu entlasten. Irgendwann, bei den letzten Kilometern muss ich meine Wanderschuhe gegen meine Sneaker tauschen. Mit tut alles weh. Die Hüften, die Knie, aber ganz schlimm schmerzen die Schienbeine, meine Achillessehne macht dagegen gut mit. Wir erreichen Bruma natürlich zu spät, die Herberge ist sehr klein. Dafür gibt es eine Taxi Shuttle für 18,- Euro zur nächsten Herberge in Poulo, 10 km entfernt, zusammen mit Mon einer Chinesin, die Spanisch studiert in Barcelona. Marcus hat sich eingelaufen und wäre auch noch weiter gegangen.

Über 40 Pilgerbetten, eng an eng in einem Raum, nur durch Trennbretter voneinander getrennt. Kein Haken, kein Stuhl nur der Platz unter dem Bett für den Rücksack. Mit Alana aus dem Nachbarbett folgen wir Mon in das Landgasthaus nebenan, denn wir können unsere Tütensuppe nicht warm machen. Kein Topf, kein Löffel, kein gar nichts in der Pilgerherberge. Ein wunderschönes Restaurant, hübsche farbige Gläser, liebevoll gedeckt und super nette Mitarbeiter versorgen uns noch fürstlich obwohl es schon 15.45 Uhr ist und das Restaurant eigentlich 15 Minuten später schließen sollte. Marcus ist glücklich und lädt alle ein. Wir bestellen zu viel, genießen den Wein und freuen uns alle.

mit Alana und Mon zum späten Mittagessen im Casa Rural Antón Veiras

5.Etappe, Donnerstag, 17.April, von Bruma nach Següeiro, 26km

Das Taxi holt uns um 6.30 Uhr vor der Herberge ab und bringt uns die 10 km zurück nach Bruma. Dort frühstücken wir erst mal unser Müsli in der saukalten Herberge, um dann die Strecke wieder zu Fuß zurück zulaufen. Hört sich bekloppt an, aber es müssen mindestens 100 km zu Fuß bis Santiago de Compostela zurück gelegt werden, um die Compostela zu erhalten. Egal, einfach durch. Den Pilgerpass muss man mindestens zwei Mal am Tag in Herbergen, Kirchen oder Bars abstempeln lassen, als Beleg für die zurück gelegten Kilometer.

Der Weg führt durch Ortschaften, alte Hohlwege gesäumt von Bäumen auf seitlichen Dämmen, über kleine Brücken und an einer skurrilen Sammlung von Dinosauriern aus Kunststoff und alten Steinplatten und Kornspeichern vorbei. Die Strecke ist weit und ich leide. Die Schienbeine und Füße schmerzen sehr. Zum Glück habe ich meine Teleskop Wanderstöcke dabei. Auf den letzten 10 km nach Següeiro begleitet uns Alexandra aus Haldern. Ihre Eltern haben einen Hof in Haldern und wahrscheinlich campen wir auf ihrem Grundstück, wenn wir im August auf dem Haldern Pop Festival sind. Der Smalltalk ist sooo hilfreich und lenkt ab vom nassen Wetter und den unglaublich monotonen letzten Kilometern.

In Següeiro haben wir wieder nichts reserviert. Hier ist vor Ostern alles gnadenlos ausgebucht. Wir essen schlecht in einem netten Hotel, das uns vermittelt an ein Road Hotel, 4 km die Strasse rauf Richtung unserem Ziel. Es geht bei mir nur noch im Taxi, zumal es mal wieder regnet. Angekommen lege ich mich in die heiße Badewanne und in unser schönes, weißes Bett. Das Hotel hat die Holzmöbel der 70iger Jahre behalten, einen neuen Hochglanz Steinboden im Speisesaal und Teppichboden in den Zimmern. Wir schlafen 1,5 Stunden und traben dann durch den Regen zu der Bar neben dem Hotel an der Hauptstrasse. Bar oder Gemeinderaum, hier sitzen alle aus der Umgebung. Zu unserem Bier gibt es eine große Tasse Bohnensuppe mit viel Fleisch und Chorizo, als Tapas, gratis! Mehr braucht es nicht zum Abendessen. Fernseher laufen in zwei Ecken, Stimmengewirr von den voll besetzten Tischen, bis gegen 21 Uhr alle aufbrechen und nach Hause gehen. Sicherlich zum Abendessen.

6. Etappe, Karfreitag, 18. April, von Següeiro nach Santiago de Compostela, 12km

Wir fahren nicht mit dem Taxi zurück in den Ort, die 100 km bekommen wir leicht zusammen. Im Frühstücksraum treffen wir Veronika und Ulli, zwei junge Pilger, die wir auch zwischendurch schon öfter gesehen und gesprochen haben. Wir bleiben sitzen, erzählen und haben keine Eile. Es ist nicht mehr weit und regnet sowieso, bei höchstens 10 Grad. Unsere Unterkunft in Santiago ist zum Glück gebucht aber erst ab 16 Uhr belegbar. 

Erstaunlicherweise ist der Weg nach Santiago recht schön und wir besuchen noch eine Messe der Karmeliter als wir ankommen. Von wegen Karfreitag Ruhe und alles geschlossen. Die Mönche singen die Passionsgeschichte und ich verliere meinen lieb gewonnenen Wanderhut beim Verlassen der Kirche. (Bekomme ihn am nächsten Morgen dort wieder zurück) Vor der großen Kathedrale kommt dann doch noch einmal kurz die Sonne zum Vorschein und wir sind sehr glücklich und beseelt. Anders kann ich es nicht sagen, der Moment ist emotional, wie sich alle in die Arme fallen und über ihre Ankunft freuen. Manche Pilger sind ja seit Wochen unterwegs und die Freundschaften die unterwegs entstanden sind vielfältig. Wir verschieben den Besuch der Kathedrale auf den nächsten Tag und holen uns zusammen mit Veronika und Ulli unsere Compostela ab. Etwas unromantisch findet die Abfertigung der Pilger statt. Anmeldung per Internet, Nummer zugewiesen, Schlange vor einem der 10 Schalter und zack steht man an der Kasse und bezahlt 3 Euro für die Urkunde auf dickem Papier. Wir finden zusammen ein gutes Restaurant, Bodegón Casa Chico. Eine alte Eisenwarenhandlung geschmackvoll umgebaut, mit leckerem Essen. Danach beziehen wir unser tolles, sehr warmes Appartement in der Ria Trevesa 21. 

Der Abendspaziergang führt uns zwei Mal rund um die Kathedrale, der Ort hat sich geleert und die Stimmung ist sehr schön. Das Straßenpflaster glänzt nass im Laternenlicht und uns ist kalt. Wir warten aber noch bis 23 Uhr, um die einzige verbliebene Prozession zu sehen. Alle anderen wurden wegen des vielen Regens abgesagt. Wir treffen meine Regenstulpenretterin, Hendrikje und Stephan wieder. Der Austausch der Stulpen findet super einfach statt, sie wohnen direkt unter uns:)) Prozessionen in der Nacht sind sehr mystisch und wenn die Trommelmusik mit eindringlichen Rhythmen durch die Gassen schallt, ist es etwas sehr besonderes. Den Abschluss machen schwarz gekleidete Frauen, die aussehen wie Witwen, mit versteinerten Gesichtern und Rosenkränzen in ihren Händen. Ein besonderes Erlebnis.

Karsamstag, 19. April, Santiago de Compostela

Um 7.30 sind wir schon in der Kathedrale. Sie ist leer und wir können sie in Ruhe besuchen. Groß und pompös, mit einem sehr langen Mittelschiff mit Blick auf einen barocken Altar mit goldenem Baldachin von Engeln getragen. 

Wir hatten auf einen Gottesdienst um 12 Uhr in der Kirche gehofft, waren zeitig wieder dort erschienen um hereinzukommen und es war leider nur eine vorgelesene Passionsgeschichte. Einen Pilgergottesdienst gab es nicht und somit verpassten wir leider auch das tolle Spektakel mit dem 80 Kilo schweren Botafumeiro, der von 8 Helfern gezogen wird und dann durch die Seitenschiffe  schwingt. Eiskalt und hungrig hat Marcus einen Platz im Restaurant „O Gato negro“ ergattert, wir essen am Tresen die berühmten Muscheln Percebes, Entenmuscheln. Teuer, da nur unter erschwerten Bedingungen von den Meer umtosenden Felsen zu lösen, schmecken sie wie Algen und konzentriertes Meerwasser. Alles spritzt voll wenn man sie aussaugt. Diese Spezialität haben wir abgehackt und brauchen es nicht noch einmal. Wir verlassen Santiago und auf dem Markt, der gerade abgebaut wird kaufe ich einen Arm voll Blumen für 10 Euro. Unglaubliche Blicke folgen uns überall nach, zwei Pilger mit einem Arm voll großer Blumen.

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